Sharon schreibt:

Soweit ich weiß, bin ich 1932 in Straßburg in Frankreich geboren. 1939 wurde die elsässische Zivilbevölkerung in den Südwesten Frankreichs transferiert. Mein Vater war Diabetiker und hatte Mühe, seine Familie zu ernähren, und da ich der älteste Sohn und schon achteinhalb Jahre alt war (ich hatte zwei ältere Schwestern), wurde ich von zu Hause weggeschickt, in verschiedene öffentliche Einrichtungen, in Waisenhäuser, sogar in ein Sanatorium. So habe ich von 1940 an in den schönsten Gegenden Frankreichs gelebt, in den Alpen, in den Pyrenäen, an der spanischen Grenze.
Gegen Ende des Jahres 1941 anscheinend wurde ich mit meinem jüngeren Bruder Willy in ein Heim für jüdische Kinder geschickt, unter dem Schutz des „Joint“ .

Geleitwort von Dr. h.c. Paul Spiegel

Leiser Sznek, Léon Suchard, Eliezer Sharon – drei Namen, hinter denen sich eine einzige Person verbirgt. „Verbirgt“ ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen, denn „Léon Suchard“ ist ein Deckname, der dem zwölfjährigen Juden Leiser Sznek das Leben rettete. Als erwachsener Mann begibt sich Eliezer Sharon auf die Spuren von Léon Suchard und damit auf eine Zeitreise in seine Kindheit. Sharons spät entdeckte künstlerische Begabung hilft ihm, seine über Jahrzehnte verdrängten Erinnerungen an die Jahre der Verfolgung im nationalsozialistisch besetzten Frankreich, an die Internatszeit in Issoudun unter falschem Namen und das Leben in ständiger Angst zu verarbeiten. In knappen Texten und eindrucksvollen Zeichnungen erzählt er von seiner eigenen Leidenszeit und gewährt damit einen erschütternden Einblick in die Gefühls – und Erlebniswelt jüdischer Kinder, die in ganz unterschiedlichen Verstecken vor der Deportation in die Vernichtungslager bewahrt werden sollten. Das Bewusstsein, sich hilflos und einsam zu fühlen und zugleich die Verantwortung für das eigene Überleben tragen zu müssen, zählt zu den belastenden Urerfahrungen dieser in ein Doppelleben gezwungenen Kinder. Die eigene Person musste verleugnet werden, ohne schon einen wirklichen Begriff von der eigenen Persönlichkeit zu haben.
Wie Eliezer Sharon hatte auch ich das Glück, durch die Unterbringung bei einer belgischen Pflegefamilie den Nazi–Terror zu überleben. Umso mehr kann ich nachempfinden, wie traumatisch die damaligen Erlebnisse für ihn gewesen sein müssen und wie schwer es ihm fiel, sich in diese „Welt der Lüge“ und des Verlassenseins zurückzuversetzen. So schmerzhaft dieser Prozess auch sein mag, so eindrücklich und anrührend belegt dieses Buch die positive Kraft der Erinnerung. Erst durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gelingt es Sharon, seine beiden Leben zusammenzuführen, sein Schicksal anzunehmen und sich dadurch ein Stück weit von der Last des Erlebten zu befreien. Ich bin ihm dankbar, dass er sich dieser Konfrontation gestellt hat und mit diesem Zeitzeugenbericht der besonderen Art nicht zuletzt auch die Erinnerung an das Schicksal der verfolgten Kinder wach hält.